Let's talk Oral Health: Parodontologie und häusliche Mundpflege
Parodontalerkrankungen sind eine der häufigsten Mundkrankheiten, aber gleichzeitig auch vermeidbar. Der Eckpfeiler der Prävention und des Managements von Parodontalerkrankungen ist eine gute Mundhygiene, wobei der häuslichen Mundpflege eine entscheidende Rolle zukommt. Obwohl dies einfach klingt, haben Patient:innen mit Parodontalerkrankungen ganz besondere Bedürfnisse und es gibt viele Herausforderungen. Motivation und Compliance, anatomische Anomalien, systemische Gesundheitsprobleme, Genetik und vieles mehr.
Wie geht man in der Parodontologie mit solchen Herausforderungen um? Welche Lösungen stehen zur Verfügung? Wie sehen diese Strategien in der täglichen Praxis aus? Zwei renommierte Experten auf diesem Gebiet stehen Rede und Antwort: Prof. Dr. Dagmar Else Slot und Prof. Dr. Filippo Graziani.

Welches sind die wichtigsten Phasen der Parodontalbehandlung, die von Patient:innen selbst gesteuert werden können?
Prof. Graziani beginnt mit der Feststellung, dass eine Parodontalbehandlung ohne die direkte Beteiligung und Mitarbeit der Patient:in nicht möglich ist: "Die Patient:in muss so weit motiviert werden, dass Verhaltensänderungen vorgenommen werden, was der erste Schritt der Parodontalbehandlung ist". Und das gilt sowohl für die chirurgische und nicht-chirurgische Behandlung als auch für die letzte Behandlungsphase: die unterstützende Parodontalbehandlung: "Wenn die Patient:in die Plaque nicht unter Kontrolle halten kann, können wir keine wirksame Parodontalbehandlung durchführen". Prof. Graziani sieht es aber auch aus einer anderen Perspektive: "Jeder Patient ist zu allem fähig, nur die Dental-Experten müssen einen Weg finden, um sicherzustellen, dass die Patient:in sich ändert. Und das ist die Herausforderung: Wir müssen sicherstellen, dass wir nicht nur Botschaften vermitteln, sondern auch Veränderungen bei Patient:innen anregen. Prof. Slot fügt hinzu: "Aus dentalhygienischer Sicht muss auch darauf hingewiesen werden, dass die Mundpflege für Menschen, die Zahnimplantate erhalten, sehr wichtig ist - vor und nach dem Einsetzen der Implantate. Und das gilt auch für die restaurative Zahnheilkunde". Prof. Graziani stimmt dem vollkommen zu: "Wir wissen, dass eine der Determinanten für den Implantat Erfolg oder Misserfolg das Ausmaß von Plaque und Entzündungen ist. Bei Patient:innen, die zuvor an Parodontitis erkrankt waren und sich jetzt einer Implantatbehandlung unterziehen, ohne dass sie eine unterstützende Behandlung erhalten haben, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass sich der Knochen um ihre Implantate herum abbaut, oder dass sie ihre Implantate ganz verlieren. Und dafür gibt es eindeutige Beweise für einen Zeitraum von bis zu 10 Jahren". Prof. Slot fasst zusammen: "Meiner Meinung nach beginnt alles mit einer guten Zusammenarbeit zwischen den Patient:innen, dem Zahnarzt/Parodontologen/Implantologen und der Dentalhygienikerin".
Mundhygiene ist nicht nur während und nach einer Parodontalbehandlung wichtig, sondern spielt auch eine große Rolle bei der Prävention. Prof. Graziani: "Die Prophylaxe von Parodontitis ist in Wirklichkeit die Behandlung von Gingivitis. Jedes Mal, wenn man eine Gingivitis behandelt oder das Zahnfleisch gesund hält, beugt man einer Parodontitis vor. Deshalb ist es so wichtig, sich auf die gesunden Patient:innen zu konzentrieren, oder zumindest auf die Patient:innen, die nicht von Parodontitis betroffen sind. „Das ist die erste Schlacht, die es zu gewinnen gilt". Prof. Slot stimmt dem zu und stellt sich einen integrativeren Ansatz vor, z. B. während der Schulzeit: "Mit dem aktuellen Trend zu einer gesunden Lebensweise sehen wir, dass Schüler:innen in den weiterführenden Schulen lernen, wie man gesunde Entscheidungen trifft, und wie man Zähne putzt. Im Hinblick auf die Prophylaxe wäre es also sehr hilfreich, die Mundhygiene in den Unterricht zu integrieren. Prof. Graziani fügt hinzu: "Als Zahnärzt:innen wurde uns beigebracht, wie man eine Krankheit behandelt oder heilt; das ist etwas ganz anderes als das Modell der Prävention. Die Aufrechterhaltung des Wohlbefindens ist die neue Frontlinie der Medizin, die Menschen gesund zu halten, anstatt zu versuchen, die Krankheit zu behandeln. Und das ist etwas, das nicht zur DNA eine Arztes gehört, das hat man uns nicht beigebracht. Das ist also ein Mentalitätswandel".
Reicht Zähneputzen allein aus, oder ist Interdentalreinigung zusätzlich unerlässlich?
Prof. Slot: "Bereits vor zehn Jahren haben wir in einer systematischen Übersichtsarbeit die Wirkung einer Zahnputzübung mit einer Handzahnbürste bewertet. Wir fanden etwa 40 Studien, an denen insgesamt etwa 10.000 Personen teilnahmen, und konnten zeigen, dass bei einer einzigen Zahnputzübung mit einer Handzahnbürste nur 42% der Plaque entfernt wird. Das Gleiche haben wir mit einer elektrischen Zahnbürste durchgeführt und festgestellt, dass hier 46% der Plaque entfernt wird". In Anbetracht dieser Prozentsätze gibt es sicherlich noch Raum für Verbesserungen: "Ich denke, dass eine Zahnbürste bei Parodontitis per Definition nicht ausreicht, da der Interdentalbereich nicht gereinigt wird. Man braucht separate Hilfsmittel für die Interdentalreinigung". Prof. Graziani ergänzt, indem er auf die Ergebnisse einer der wichtigsten Veröffentlichungen zurückgreift, die sein Berufsleben geprägt haben: Axelsson & Lindhe (1981): "Im Grunde genommen, haben die Personen, die nicht formell zur Mundhygiene angeleitet wurden und über einen längeren Zeitraum (6 Jahre) beobachtet wurden, nur interdental Plaque angesammelt. Denn wenn ich sage, dass mehr geputzt werden soll, putzen alle - auch ohne Training - besser okklusal, bukkal und lingual. Die interdentale Plaque blieb jedoch bis zu 100% erhalten. Nach sechs Jahren entwickelten die Menschen in dieser Gruppe immer mehr Entzündungen, auch im bukkalen und lingualen Bereich! Das heißt, wenn man keine Interdentalreinigung durchführt, entstehen auch dort Entzündungen, wo keine Plaque vorhanden ist. Das bedeutet, dass der entscheidende Faktor für die Entzündung das ist, was im Papillenbereich, also interdental, passiert. In der Testgruppe entwickelten sich keine Entzündungen und keine Karies". Diese wegweisende Studie unterstreicht die überragende Bedeutung der Interdentalreinigung. Prof. Graziani fasst zusammen: "Das erste, was wir tun, ist, den Patient:innen beizubringen, die Zahnzwischenräume zu reinigen, denn das ist für mich der wichtigste Punkt, um auf Dauer ein krankheitsfreies Gebiss zu erhalten".
Was wissen wir über die Reinigungswirkung der verschiedenen Hilfsmittel zur Interdentalreinigung?
Als eine der führenden internationalen Expert:innen zu diesem Thema führt uns Prof. Slot zunächst durch eine Reihe systematischer Übersichten über verschiedene Mundpflegehilfsmittel, die sie und ihre Kollegen 2008 veröffentlicht haben. Dazu gehören Handzahnbürsten, elektrische Zahnbürsten, Zahnseide, Zahnhölzer, Interdentalbürsten und Mundspülungen, und seit 2022 auch Interdentalreiniger mit Elastomer-Filamenten. Sie fanden heraus, dass "Zahnseide weder bei der Plaque-Entfernung noch bei der Blutung und dem Gingiva-Index wirksam ist", das "Zahnhölzer die Blutungsneigung verringern" und das "Interdentalbürsten eine Wirkung auf die Plaque-Reduktion und die Sondierungstaschentiefe haben". Kürzlich veröffentlichten sie einen Meta-Review über verschiedene Hilfsmittel zur Interdentalreinigung, während Kollegen aus den USA - Kotsakis et al. und Liang et al. - zwei Netzwerk-Metaanalysen veröffentlichten. Prof. Slot zu den Ergebnissen: "Sie fanden in der Netzwerk-Metaanalyse heraus, dass Interdentalbürsten und Munddusche sowohl bei der Blutungsneigung als auch bei der Plaque-Entfernung einen hohen Stellenwert haben".
Prof. Graziani hat selbst klinische Studien zur Interdentalreinigung durchgeführt, eine mit Probanden ohne Parodontitis und eine mit Parodontitis-Patient:innen mit Attachmentverlust. Er erläutert uns seine wichtigsten Ergebnisse: "In beiden Studien war die Zahnseide nicht wirklich in der Lage, einen zusätzlichen Nutzen gegenüber der Handzahnbürste zu erbringen, was mit einem Großteil der Literatur von Prof. Slot übereinstimmt". Bei den Interdentalbürsten fielen die Ergebnisse positiver aus: "Interdentalbürsten waren in beiden Studien eindeutig überlegen, was wir erwartet hatten. Was wir allerdings nicht erwartet hatten, war, dass Interdentalreiniger mit Elastomer-Filamenten bei Parodontitis-Patient:innen genauso wirksam sind wie Interdentalbürsten. Sehr interessant war auch, dass diese bei Patient:innen ohne Parodontitis in Bezug auf die Plaque Kontrolle genauso wirksam waren wie Interdentalbürsten, aber in Bezug auf die Verringerung der Entzündung wirksamer". Da beide Hilfsmittel die gleiche Menge an Plaque entfernten, musste es eine andere Erklärung für dieses Ergebnis geben: "Die Interdentalreiniger mit Elastomer-Filamenten könnten eine Art Massageeffekt auf die Papille haben. Offensichtlich hat diese Art von Massage oder Reibungseffekt eine gewisse Wirkung auf die Blutgefäße und die Entzündung, so dass bei gleicher Ansammlung von Plaque weniger Entzündungen auftreten".
Was wissen wir über die Präferenzen, die Compliance und die Motivation der Patient:innen in Bezug auf die häusliche Mundpflege und insbesondere auf Mundpflegehilfsmittel?
In Bezug auf Interdentalbürsten erklärt Prof. Slot, dass Daten aus Korea zeigen, dass zwar 87% sich mindestens einmal am Tag die Zähne putzt, aber 63% keine Interdentalreinigungshilfsmittel verwenden. Eine retrospektive Studie, die sie mit ihrer Forschungsgruppe durchgeführt hat, zeigt, dass Dentalhygieniker:innen etwas bewirken können. Sie untersuchten das Mundhygieneverhalten von Patien:innen, während einer nicht-chirurgischen Parodontaltherapie und stellten fest, dass nach der Behandlung die Verwendung einer elektrischen Zahnbürste um 26% zunahm, die Zahl der Patient:innen, die mindestens drei Minuten lang putzten, um 33% stieg und die Verwendung von Zahnhölzern und Interdentalbürsten um 15% bzw. 40% zunahm. Prof. Slot erläutert diese Ergebnisse: "Wir sehen, dass die Selbstpflege bei der Mundhygiene auf der Grundlage unserer Anweisungen verbessert wird. Wenn die Menschen während einer aktiven Parodontalbehandlung Informationen von uns erhalten, haben sie ihre Gewohnheiten geändert. Das ist sehr hilfreich für uns, denn jetzt wissen wir, dass unsere Ratschläge auch befolgt werden".
Die Empfehlungen des zahnmedizinischen Teams sind jedoch nicht der einzige Aspekt, der die Compliance und Motivation beeinflusst.
Prof. Graziani über den Einfluss der Benutzerfreundlichkeit verschiedener Interdentalreinigungshilfsmittel auf die Compliance: "Ein entscheidender Aspekt in der Forschung zu jedem Hilfsmittel ist nicht nur die Plaque-Menge, die durch das Hilfsmittel entfernt wird, sondern auch zu verstehen, wie viele Sitzungen erforderlich sind, damit der Patient das Hilfsmittel wirksam anwendet". Dies könnte zwar die mangelnde Wirksamkeit von Zahnseide in Studien erklären, da sie schwer anzuwenden ist und viele Anleitungen benötigt werden. Es könnte aber auch die Überlegenheit von Interdentalbürsten und Interdentalreinigern erklären. Prof. Graziani: "Sicherlich sind Interdentalbürsten oder -reiniger mit Elastomerborsten einfacher, weil sie leicht zu verwenden sind und der Patient die Wirksamkeit selbst überprüfen kann. Aber, die Hilfsmittel sind auch sehr handlich. Sie werden feststellen, dass diese Hilfsmittel leicht zwischen den "Sechsern" und den "Fünfern" demonstriert und angewendet werden können, und nicht nur im Frontzahnbereich. Bei der Demonstration von Zahnseide zeigen wir die korrekte Anwendung eher im Bereich der vorderen Schneidezähne. Dieser Bereich muss nicht intensiv gereinigt werden, weil Entzündungen und Karies eher im hinteren Mundbereich zu finden sind".
Prof. Slot setzt die Diskussion über die Patient:innenpräferenz fort: "Eine unserer letzten systematischen Übersichten befasste sich mit Interdentalreinigern mit Elastomer-Filamentten als Ergänzung zum Zähneputzen und verglich sie mit Zahnseide und Interdentalbürsten. Wir konnten kaum einen Unterschied zwischen den Interdentalreinigern, Zahnseide oder Interdentalbürsten feststellen. Auch die Präferenzen der Teilnehmer wurde in allen vier Studien auswertet. Das Ergebnis: Alle Teilnehmer bevorzugten Interdentalreiniger mit Elastomerborsten". Die Gründe, warum die Patient:innen diese gegenüber Zahnseide und klassischen Interdentalbürsten bevorzugten, hatten vor allem mit der einfachen Anwendung und der Bereitschaft, diese auch in Zukunft zu verwenden, zu tun. Prof. Slot fügte hinzu: "Ich persönlich denke, dass die Interdentalreiniger mit Elastomer-Filamenten gerade für Gingivitis-Patient:innen etwas leichter zu handhaben sind, weil sie sich nicht so leicht verbiegen wie Interdentalbürsten".
Let's Talk Oral Health ist eine Serie von Experten-Gesprächen. Diese spezielle Reihe konzentriert sich auf die häusliche Mundpflege aus verschiedenen Blickwinkeln. Entdecken Sie hier alle Webinare aus dieser Reihe: